Nadia Budde

© Christian Reister

Nadia Budde – heute eine mehrfach preisgekrönte, international vernetzte Illustratorin und Autorin von Kinderbüchern – wurde 1967 in Ost-Berlin geboren und machte noch in der DDR eine Lehre als Gebrauchswerberin. Ihr Abitur holte sie später berufsbegleitend an einer Abendschule nach und studierte 1993–1999 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Kommunikations- und Grafikdesign. Während des Studiums arbeitete sie bereits als freie Illustratorin und ging zudem für einige Monate nach London ans Royal Collage of Art. Mittlerweile kamen, zusätzlich zu ihrer bildkünstlerischen und literarischen Arbeit, Tätigkeiten als Lehrbeauftragte (Bauhaus-Universität Weimar), Gastprofessorin für Illustration (Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein) oder Jurorin (Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis) hinzu.

Nadia Budde reist viel und gerne. Auf ihrer Homepage sind Vortrags- und Lehrtätigkeiten in beeindruckender Fülle und Internationalität verzeichnet: von Indien bis Italien, Schweden bis Schweiz, Iran bis Israel, Korea bis Kirgisistan… Sie spricht mehrere Sprachen, etwa Englisch, Französisch und Russisch.

Das Werk Nadia Buddes ist vielfach ausgezeichnet worden. So erzielten beispielsweise gleich ihre ersten beiden Bücher Eins, zwei, drei, Tier (1999) und Trauriger Tiger toastet Tomaten. Ein ABC (2000) den Deutschen Jugendliteraturpreis, den Troisdorfer Bilderbuchpreis, den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis, den LUCHS und den Goldenen Spatz. Weitere Preise kamen hinzu. Auch wurden ihre Bücher, v.a. wieder Eins, Zwei, Drei, Tier, in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Polnisch, Koreanisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch.

Im Bereich der Kinderliteratur eher selten ist Buddes Mehrfachbegabung: Sie gestaltet ihre Bücher in Bild und Text gleichermaßen. Manchmal illustriert sie zudem Texte anderer (Arne Rautenberg: Unterm Bett liegt ein Skelett. Gruselgedichte für mutige Kinder) oder textet zu Bildern anderer (Noch eins!, mit Zähl-Gedichten von Nadia Budde zu Bildern von Wayne Thiebaud). Hinzu kommt ein oft übersehener, aber spannender Werkkomplex: Übersetzungen von englischsprachiger Kinderliteratur. So übertrug Nadia Budde die Kinderbuchklassiker Der Lorax, Der Grinch und das Schlummerbuch von Dr. Seuss (d.i. Theodor Seuss Geisel) oder weitere Bilderbücher wie Superkauz. Meister der Verkleidung (Text: Sean Taylor, Illustration: Jean Jullien) oder Stecker raus und aus die Maus (Text/Illustration: Ann Droyd) ins Deutsche. In all dem arbeitet Budde langjährig mit den beiden Verlagen Antje Kunstmann (München) und Peter Hammer (Wuppertal) zusammen.

Schon ihr erstes Buch Eins, zwei, drei, Tier (1999) ist bis heute nicht nur eins ihrer bekanntesten, sondern enthält charakteristische Merkmale, die Nadia Buddes bisheriges Gesamtwerk prägen: Zum einen ist hier das kreative Spiel mit der Sprache, mit Reimen und lautlichem Gleichklang zu nennen. Es bricht scheinbar logisch-rationale Ordnungen auf und etabliert eine freie, kreative Gegenlogik. Buddes Texte gehören hier – neben der Einordnung in die Kinderlyrik – in die traditionsreiche und sehr veritable Linie der Nonsens-Dichtung von Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, dem Dadaismus bis zu Ernst Jandl und der Wiener Gruppe. Ganz zu Recht ist Nadia Budde mit ihren Texten, beispielsweise Eins, zwei, drei, Tier, auch auf renommierten Plattformen der Gegenwartslyrik wie lyrikline.org vertreten. Zum anderen ergänzen die Illustrationen diese Ästhetik der kreativen Gegenlogik und der Komik mit scheinbar einfachen, dabei ebenso komplexen wie skurrilen Zeichnungen, die oft im Grenzbereich zu Karikatur oder Comic angesiedelt sind.

Das ganze Buch Eins, zwei, drei, Tier listet in einer Aufzählung stets drei gleiche Lebewesen in unterschiedlichen Zuständen oder Situationen auf und reimt das Dritte davon mit einem anderen, vierten Lebewesen, das dann den Ausgangspunkt für die nächste Reihe bildet. Alle Lebewesen – egal, ob Mensch oder Tier, groß oder klein, dick oder dünn, gesund oder krank etc. – sind dabei von gleichem ‚Wert‘: Das Buch drückt ganz spielerisch eine Ethik der Toleranz, Gleichwertigkeit und Diversität aus. Es gibt Impulse zur respektvollen Wertschätzung allen Lebens. Schließlich fällt dann auch der Blick auf das „DU“ (= den Leser bzw. die Leserin), das genauso in dieser verrückten, vielfältigen Reihe steht, Wertschätzung erhält und am Ende in die fröhlich-bunte Gemeinschaft eines „WIR“ integriert wird.

Neben dieser untergründigen Ethik des respektvollen, hierarchielosen Geltenlassens von Vielfalt wird auch ein Impuls zur Kreativität gegeben. Die scheinbar einfachen Strichzeichnungen und die Schüttelreime wecken in großen wie kleinen Betrachter:innen den Wunsch mitzumachen: selbst lustige Reihen zu bilden, Wörter zu reimen und schrullige Figuren zu zeichnen. Die zahlreichen Übersetzungen in weitere Sprachen, die Nadia Budde mit zum Teil anderen Bildern begleitete, machen den Band übrigens auch gut im Fremdsprachenunterricht einsetzbar. Sprecher:innen aus ganz unterschiedlichen Kulturen können mit Eins, zwei, drei, Tier die eigene Sprache auf witzig-kreative Weise erkunden und fremde Sprachen spielerisch kennenlernen.

Weitere Bilderbücher Buddes führen diese Prinzipien fort und differenzieren sie aus. Um noch ein Beispiel zu nennen: Bei Krake beim Schneider (2019) stehen immer zwei quadratische Bilder nebeneinander, die in den knappen Texten durch Reime verbunden sind. Nach und nach erschließt sich beim Betrachten, dass diese beiden Bilder aufeinander aufbauen und sich überraschend erweitern. So führt das Bild „Verpasster Flug“ mit einer Ente, die irgendwie den (Ab?)Flug versäumt hat, zum Bild „Ente im Zug“ – denn irgendwie muss die Ente ihr Ziel ja erreichen. Beide Male gibt es auch lustige Details zu entdecken: Auf der Reisetafel der Ente im Bild 1 steht als Destination „Süden“, vor dem Zugfenster in Bild 2 fliegen die anderen, wahrscheinlich pünktlichen Enten des Schwarms vorbei etc. Die Bilder erzählen daher bei genauerer Betrachtung immer mehr eine Geschichte bzw. die Betrachter:innen werden zu eigenen Geschichten (und damit zum phantasievollen Umgang mit Sprache und Bildern) angeregt. Wenn die Fliege in der Bildfolge „Schrank, Stuhl und Liege“ bzw. „Stube der Fliege“ ein Buch über „Feng Shui“ liest, so ist dies zudem eins der vielen Details, die beweisen, dass Buddes Bücher stets mehrfach adressiert sind: an Erwachsene ebenso wie an Kinder fast aller Altersgruppen. Nadia Buddes medienübergreifende, phantasievolle, subversive, witzige, kluge Kunst begeistert eben Jung und Alt.

Andrea Bartl